Kunstrasen im Golf – eine nachhaltige Alternative?
Ist die Verwendung von Kunstrasen eine nachhaltige Lösung im Golfplatzbau? Bis dato war die Verwendung des künstlichen Materials auf großer Fläche schwer vorstellbar. Der Einsatz beschränkt sich derzeit weitgehend auf Trainingsflächen, Indoor-Golfbereiche, Putting-Bereiche oder Kunstrasen-Tees. Golfplatz-Architekten sehen bis dato keine Verwendung von Kunstrasenflächen im großen Stil. „Im Freien macht Kunstrasen in Mittel und Nordeuropa nur auf einzelnen Trainingsflächen Sinn, wenn man ganzjährig spielen will“, erklärt der deutsche Golfplatzdesigner Thomas Himmel. Gleichzeitig erlebt Kunstrasen aber durchaus einen Boom, „weil er in Gegenden, wo es mit natürlichem Gras schwierig ist, qualitative Lösungen zu schaffen, einen Bedarf befriedigt“, stellt Haaye de Jong, Managing Partner von Southwest Greens Construction gegenüber der Zeitschrift Golf Course Architecture fest. Southwest Greens , hat gerade ein Trainingsareal aus Kunstrasen für den Golf Club Eichenheim im österreichischen Kitzbühel gebaut. Und der deutsche Investor Carlos Merz denkt über den Bau eines 9-Löcher-Platzes mit Kunstrasen Grüns und Tees in Hessen nach. Kunstrasen, so seine Argumentation im Online-Magazin Main.golf, „sei ein Alleinstellungsmerkmal, was man mit ökologischen Merkmalen vermarkten könne.“ Es folgt der Verweis auf „keine Bewässerung, keine Düngemittel, weniger Pflegekosten“ und längere Nutzungszeiten pro Jahr.
Keine Studien zum Thema
Wie nachhaltig ist die Verwendung von Kunstrasen im Golfsport tatsächlich? Eine Frage, auf die es derzeit keine einfache Antwort gibt. Auch deshalb, weil sich die Wissenschaft noch nicht mit dieser Frage auseinandergesetzt hat. Während diverse Studien untersuchen, wie künstliche Fußballfelder im Hinblick auf das Thema Kreislaufwirtschaft, Spielbarkeit oder Einfluss auf die Gesundheit der Spieler zu bewerten sind, gibt es keinerlei umfassende Bewertung zu den Auswirkungen von Kunstrasen im Golfsport. Auch von den beiden Architekten-Organisationen American Society of Golf Course Architects und European Institute of Golf Course Architects gibt es keine Bewertung zu dem Thema.
Tatsächlich erleben Kunstrasenflächen im Sport aber einen Boom, seitdem 1965 mit dem sogenannten Astrodome, einem Baseball- und American Football Stadium, in Texas 1965 zum ersten Mal Kunstrasen zum Einsatz kam. Der Synthetic Turf Market Report des Synthetic Turf Council kam 2020 allein für Nordamerika auf eine Kunstrasenfläche von 24.6 Millionen Quadratmeter. Laut Data Bridge Market Research wird der globale Kunstrasenmarkt im Jahr 2031 ein Volumen von 19,58 Milliarden Dollar haben, verglichen mit 4,75 Milliarden im Jahr 2023. Der Einbau von Kunstrasen in Fußballstadien, auf Hockeyfeldern, im Baseball, American Football oder eben auch im Golf ist Big Business.
Auch Kunstrasen braucht Wasser
Wie aber ist die Nachhaltigkeit von Kunstrasen im Golfsport zu bewerten und welche Fragestellungen sind relevant? Aus ökologischer Sicht sind Bewässerung, Hitze, Düngung, Pestizideinsatz, Einfluss von Mikroplastik sowie Bodenversiegelung die größten Themen.
Falsch ist die Annahme, dass Kunstrasenflächen keinerlei Bewässerung benötigen. Die Studie Water Requirements for Cooling Artificial Turf, die 2020 im Journal for Irrigation and Drainage Engineering veröffentlicht und an der New Mexico State University verfasst wurde, zeigt auf, dass „in ariden und semiariden Klimazonen, die Oberflächentemperatur von Kunstrasenflächen während des Sommers auf über 80 Grad Celsius steigen kann und Bewässerungs- und Drainagesysteme erfordert, um sie für die Benützung zu kühlen.“ „Stell Dich bei 90 Grad Fahrenheit in die Mitte eines Fußballstadiums und Du weißt, warum es nie Kunstrasen -Fairways geben wird. Fake Gras verstärkt die Hitze“, erklärte der amerikanische Golfplatzdesigner Michael Hurdzan 2020 gegenüber der Fachzeitschrift Golf Digest.
Ein Modellversuch der New Mexico State University, der die Bewässerung untersuchte, kam zu dem Ergebnis, dass „über einen Zeitraum von 24 Stunden die benötigte Menge an Wasser (3.00 mm bis 5.00 mm) vergleichbar mit der von natürlichem Gras war.“ „Wenn sich die Investition des Kunstrasens lohnen soll, muss der Spielbetrieb gewährleistet sein und der Kunstrasen muss dann eben gekühlt werden“, resümiert Prof. Dr. Bernd Leinauer, Extension Turfgrass Specialist an der New Mexico State University und einer der international anerkannten Spezialisten für Golfrasen.
Für ihn ist auch das Argument des fehlenden Pestizideinsatzes auf Kunstrasen nur bedingt überzeugend, da der Pestizideinsatz international auf Rasen ohnehin eingeschränkt oder ganz verboten werde.
Mikroplastik bleibt ein Problem
Leinauer verweist stattdessen auf die Tatsache, dass Kunstrasen zum gegenwärtigen Zeitpunkt aus Polypropylen- oder Polyethylenfasern, also Plastik, bestehe, und deshalb der Eintrag von Mikroplastik in den Untergrund eine beachtenswerte Rolle spiele. Wie lange diese Produkte für die Herstellung von Kunstrasen noch verwendet werden dürfen, ist allerdings unklar, da inzwischen von Sportverbänden wie der UEFA der Ruf nach einem Ersatz der Stoffe laut werden.
Keine Bodenverdichtung
Eine Verdichtung des Bodens ist durch Kunstrasenflächen nicht gegeben. „Die Produkte sind wasserdurchlässig und haben als Unterbau eine Mineralschotterschicht“, erläutert Volker Sternberg, Inhaber der Firma Private Greens, die in der D-A-CH Region zu den führenden Anbietern gehört. Er verweist auch auf die lange Lebenszeit der Beläge, die nicht unter 25 Jahren liege und auf die Tatsache, dass bei Private Greens kein PU-Klebestoff verwendet werde.
Sternberg sieht eine Zukunft des Kunstrasens vor allem im Bereich von Grüns, Tees und Trainingsflächen, weil hier bei normalem Gras die höchsten Pflegekosten anfallen. „Über den Daumen gerechnet, liegen die Pflegekosten bei Kunstrasen bei etwa zehn Prozent von natürlichem Gras“, stellt er fest. Nicht nur, dass der Zeitaufwand für das Greenkeepingpersonal geringer sei, auch der Maschinenpark werde reduziert. Gleichzeitig ist die Erst-Investition in Kunstrasenflächen aber deutlich höher als bei normalen Grüns oder Abschlägen.
CO₂-Footprint und Entsorgung
Rechnet man die Fläche von neun durchschnittlichen Grüns und jeweils zwei durchschnittlichen Abschlägen pro Spielbahn hoch, so ergibt sich trotzdem eine Kunstrasenfläche von etwa 8000 Quadratmetern. Alles in allem also eine beträchtliche Fläche. Aufgrund der Tatsache, dass Plastikherstellung auf fossilen Brennstoffen basiert, ist der CO₂-Footprint von Kunstrasen ein negativer Aspekt, der auf natürlichen Rasen nicht zutrifft. Auch die Entsorgung beim Ausbau des Materials muss bedacht werden, während beim Umbau eines natürlichen Grüns alle Stoffe wiederverwendet werden können.
Prof. Dr. Johannes Kollmann, der die Professur für Renaturierungsökologie der TU München innehält und sich seit Jahren mit der Ökologie von Golfplätzen auseinandersetzt, verweist mit Blick auf Kunstrasen auch auf den „Nachteil der fehlenden Kühlung und Kohlenstoffbindung, der geringeren Versickerung, des reduzierten Bodenlebens und der Freisetzung von Mikroplastik.“
Außerdem kommen auch die Reinigungsqualitäten des normalen Bodens ins Spiel: „Natürlicher Boden und Erde dienen auch der Filterung von Wasser, bevor es in unterirdischen Aquiferen (Gesteinskörper Anm. d. Red.) oder Wasserkörpern ankommt“, gibt David Bily zu bedenken, der als Landschaftsarchitekt und Golfplatzdesigner auch Erfahrung mit Kunstrasen aus dem Fußballbereich mitbringt.
Frankreich verweist auf Plastikverschmutzung
Der französische Golfverband ist angesichts der Diskussion um die Folgen des Einbaus von Kunstrasen bereits einen Schritt weitergegangen und empfiehlt auf den Einbau zu verzichten. Er verweist auf die negativen Effekte der Hitzeentwicklung und die Verschmutzung von Wasser durch Mikroplastik mit Verweis auf die Studie The dark side of artificial greening: Plastic turfs as widespread pollutants of aquatic environments aus dem Jahr 2023. Hinzu kommt, dass die Europäische Kommission ohnehin ein Verbot für die Verwendung von Gummigranulaten auf Kunstrasenflächen ausgesprochen hat, das ab 15.10.2031 gilt. Hier weist der Französische Golfverband darauf hin, dass der Einbau von Kunstrasen mit diesem Material ohnehin nicht empfehlenswert sei.
Leidet das Umweltbewusstsein?
Dass Kunstrasen verglichen mit natürlichem Gras die nachhaltigere Lösung sei, ist angesichts all‘ der Argumente von Experten extrem unwahrscheinlich. Zumal noch die Frage hinzukommt, wie derartige Flächen denn überhaupt auf das Umweltbewusstsein von Sportlern wirken. Ein Thema, mit dem sich die drei skandinavischen Wissenschaftler Erik Backman, Daniel Svensson und Itai Danielski in der Studie The Changing Landscape of Sport Facilities – Consequences for Practioners and the Environment auseinandergesetzt haben. Sie weisen darauf hin, dass „die Landschaften, in denen wir uns bewegen, unsere Aufmerksamkeit gegenüber der natürlichen Welt verringern oder erhöhen können“. Das wiederum könne die Ausübung nachhaltiger Handlungen positiv oder negativ beeinflussen.
Auf den Golfsport angewandt, stellt sich damit die im Moment noch hypothetische Frage: Welches Gefühl für die Natur würde ein Golfer überhaupt entwickeln, wenn er sich auf einem rein künstlichen Golfplatz bewegen würde? Ein Szenario, das derzeit noch nicht real ist, weil es aufgrund der aufgezeigten Grenzen der Realisierung durch die Themen Kosten und Hitze keine Golfplätze mit großen Kunstrasenflächen gibt.
Andererseits: Wer hätte vor 20 Jahren gedacht, dass Skigebiete, die weitgehend mit Kunstschnee versehen sind, jemals real werden? Sollte sich die Bespielbarkeit von Kunstrasen den Bedürfnissen des Golfers weiter anpassen und damit die Möglichkeit bestehen, die Ausübung des Sportes ganzjährig auch in Regionen zu ermöglichen, in denen dies nicht möglich ist, wären 9-Löcher-Plätze aus Kunstrasen durchaus denkbar. Schließlich wird in Dubai ja auch in einer riesigen Halle Ski gefahren.
Die Frage, wie nachhaltig die Anwendung von Kunstrasen im Golfsport ist, wird also bleiben. Geht es um die heutige Beurteilung der Frage, wie nachhaltig die Anwendung von Kunstrasen auf größeren Golfplatzflächen ist, fällt die Bilanz wohl negativ aus.