Claire Poole: „Jetzt anfangen, in großem Stil zu handeln“
Claire Poole ist die Gründerin des Unternehmens Sport Positive, das sich auf die Beratung rund um das Thema Nachhaltigkeit im Sport spezialisiert hat. Die Britin veranstaltet mit Sport Positive außerdem einmal im Jahr den Sport Positive Summit in London. Sie gilt als Pionierin und eine der Führungsfiguren innerhalb der Sportbranche, wenn es um Fragen der Nachhaltigkeit geht.
Wenn Sie an das Jahr 2050 und den Zustand des Sports weltweit denken, wie ist Ihre Stimmung – düster, positiv, gemischt?
Poole: Ich denke, wir müssen uns auf eine Art fundierten Optimismus konzentrieren und die Frage nach der Art und Weise, wie wir die Zukunft gestalten können. Ich glaube, dass die Aussichten für das Jahr 2050 positiv sind, denn was würden wir sonst tun? Aber ich denke auch, dass das, was wir in den nächsten fünf Jahren tun, wirklich darüber entscheiden wird, wie die Zukunft aussehen wird. In den letzten zehn Jahren gab es eine Menge Bewegung und Engagement. Aber wir müssen jetzt anfangen, in großem Stil zu handeln – und nicht mehr drei Jahre lang Strategien entwickeln und überlegen, wie diese Zukunft aussehen könnte. Natürlich muss es Zeit für eine Strategie geben, das gehört dazu. Aber wir sollten nicht abwarten, bis wir wissen, wie wir perfekt sein werden.
Wie wird der Sport Ihrer Meinung nach im Jahr 2050 aussehen? Findet Sport dann vermehrt in der Halle statt und vielleicht nur noch in bestimmten Regionen?
Poole: Ich glaube, wir werden viele Veränderungen erleben. Dazu gehört jetzt bereits die Anpassung der traditionellen Wintersportorte. Sie bieten andere Aktivitäten an, sei es Mountainbiking, Reiten, Trekking oder Höhlenforschung. Wenn die gesamte Wirtschaft dieses Tourismus auf dem Wintersport basiert, was tut man, wenn dieser verschwindet? Am anderen Ende der Skala stehen natürlich Länder wie Saudi-Arabien, die ein komplettes Winterskigebiet in der Wüste bauen. Dort herrscht im Winter zwar kaltes Klima, aber es ist zu trocken. Das Ganze wird nun durch Kunstschnee unterstützt.
Wird sich aus Ihrer Sicht der Zeitplan der Profitouren bedingt durch das Wetter ändern?
Poole: Die Event-Kalender werden sich ändern müssen, wenn sich die prognostizierte Entwicklung der Klimakrise fortsetzt. Sebastian Coe, Präsident des Welt-Leichtathletik-Verbandes, hat bereits gesagt, dass die intensiveren oder längeren Wettkämpfe möglicherweise vom Sommerkalender der nördlichen Hemisphäre abgekoppelt werden müssen, weil sie dort einfach nicht mehr funktionieren.
Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate haben sich um die Austragung zahlreicher Sportwettbewerbe bemüht, einschließlich Golf. Viele davon Freiluftwettbewerbe. Bei der Amateur-Golfweltmeisterschaft im letzten Jahr war es vielen Spielerinnen zu heiß. Können Sie sich vorstellen, dass dort in Zukunft Freiluftveranstaltungen stattfinden werden?
Poole: Wie Sie schon sagten, wollen die Länder im Nahen Osten im Sport weltweit führend sein. Also kaufen sie entweder Sportserien oder richten Veranstaltungen aus. Im Moment scheint der Gedanke vorherrschend, dass grundsätzlich alles möglich ist, auch wenn es nicht umweltverträglich ist. Wie Sie sagten, ist es viel zu heiß, aber in den arabischen Ländern gibt es genug Geld, um eine entsprechende Infrastruktur zu schaffen. So hat man es ja auch bei der Weltmeisterschaft in Katar gemacht, indem man viel Wasser entsalzt hat, um die Spielfelder zu bewässern und grüne Landschaften zu schaffen.
Was die Größe eines Golfplatzes angeht, scheint ein kompletter Indoor-Golfplatz erst einmal nicht möglich zu sein…
Poole: Für mich ist es faszinierend, dass Sie kategorisch sagen, dass es nicht möglich ist. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich bin kein Befürworter dieser Entwicklung und ich sage auch nicht, dass es so kommen wird. Ich denke nur, dass der Gedankengang „das wird nie passieren“ in der Vergangenheit immer wieder überwunden wurde, wenn es darum ging, wie weit die Menschen gehen, um innovativ zu sein und Dinge zu schaffen, die sie sich wünschen. Das gilt vor allem dann, wenn die Finanzierung gesichert ist und die Schöpfer der Idee davon profitieren…
Sie verfolgen den Wandel zahlreicher Sportarten, die nachhaltiger werden wollen, schon seit Jahren. Was waren die größten Herausforderungen in der Vergangenheit und welche wurden bereits überwunden?
Poole: Die größten Herausforderungen, die wir im Laufe der Jahre gesehen haben, sind im Kern immer noch häufig dieselben. Zeit und Geld, Priorisierung der Nachhaltigkeit innerhalb der Organisation, Kommunikation und das Verständnis für die Verantwortung des Sports. Wenn man die Priorisierung der Nachhaltigkeit auf der höchsten Ebene der Entscheidungsträger im Sport knackt, können die anderen Herausforderungen überwunden werden. Und dann kommt natürlich immer wieder die Frage: Ist Nachhaltigkeit wirklich unsere Aufgabe? Die Antwort darauf ist, dass es die Aufgabe eines Jeden ist, eine Rolle bei dem Thema zu spielen, und ich denke, dass der Sport eine unglaubliche Chance und das Privileg hat, diesen Wandel voranzutreiben.
Wie wichtig ist die Führung von Sportorganisationen im Hinblick auf den Erfolg?
Poole: Wenn man die richtigen Prioritäten setzt, dann klappt alles wie am Schnürchen. Wenn es einen Vorsitzenden, Beauftragten, CEO oder Exekutivdirektor einer Sportorganisation gibt, der sagt, „wir räumen der Nachhaltigkeit Priorität ein“, dann wird das auch passieren. Wenn diese Priorisierung nicht gegeben ist, stößt man ständig auf Hindernisse und hört: „Wir haben keine Zeit, wir haben kein Geld, wir haben nicht das Fachwissen. Wir wollen nicht falsch kommunizieren, wir wissen nicht, was und wie wir kommunizieren sollen.“ All diese Herausforderungen können überwunden werden, wenn man an der Spitze einer Organisation die Leute hat, die der Sache intern Priorität einräumen.
Inwieweit haben die Extremwetterereignisse der vergangenen Jahre dazu geführt, dass die Prozesse um einen nachhaltigen Ausbau von Sportarten beschleunigt wurden?
Poole: Ich denke, es hat sich auf breiterer Ebene ausgewirkt, wenn Sportveranstaltungen abgesagt oder verschoben werden und die betroffenen Sportler darüber sprechen, wie schwierig es ist, an Wettkämpfen teilzunehmen. Über diese Dinge wird in den Medien berichtet, und dann wird es zu einem Thema auf der Tagesordnung. Aber ich glaube auch, dass der Mensch unglaublich anpassungsfähig ist und gerne zum Status quo zurückkehrt. Es ist ja furchtbar, Extremwetter als „hilfreich“ für das Thema zu betrachten. Da jedoch immer mehr extreme Wetterereignisse auftreten und der Sport davon betroffen ist, müssen die Verantwortlichen dem Thema Priorität einräumen, weil es ein Risiko für ihre Organisation darstellt. Wenn sie diese Risiken und Auswirkungen nicht angemessen berücksichtigen, würde ich mich fragen, ob sie ihrer treuhänderischen Sorgfaltspflicht als Vorstandsmitglieder nachkommen.
Sie sind kein Golfer, aber England ist ein Land mit vielen Golfern. Wie ist Ihr Blick von außen auf den Aspekt der Nachhaltigkeit im Golfsport?
Poole: Ich bin kein Golfer, ich kenne viele Golforganisationen und natürlich die Golf Environment Organisation. Ich weiß um die unglaubliche Arbeit, die im Golfsport im Hinblick auf die Verringerung der Auswirkungen des Klimawandels geleistet wird. Der Golfsport befindet sich in einer dramatischen Veränderung, um die historischen Probleme zu überwinden, die darin bestehen, dass er als elitärer Mitgliedersport betrachtet wird.
Wenn sich die Medien mit dem Thema Golf und Umwelt befassen, geht es oft um die großen Wassermengen, die zur Bewässerung der Plätze benötigt werden. Wir sehen Medienberichte und Aktivistengruppen, die bei Wasserknappheit Blumen auf Golfplätzen pflanzen und Löcher mit Beton auffüllen, und wir wissen, dass in der Branche viel getan wird, um Regenwasser aufzufangen, Wasser wiederzuverwenden usw. Aber wie alle Sportarten steht auch der Golfsport vor einem PR-Problem. Dabei geht es um die Frage, was wirkliche Fortschritte sind und was für Schlagzeilen und Klicks sorgt.
Welche drei Sportarten nennen Sie, wenn es um besondere Leistungen in Sachen Nachhaltigkeit geht?
Poole: Fußball muss da ganz oben stehen. Fußball ist die größte Sportart der Welt, also wäre etwas falsch, wenn er nicht ganz oben auf der Liste stehen würde. Engagement geschieht hier auf verschiedenen Ebenen, auf globaler, europäischer und nationaler Ebene, auf Vereinsebene und auch auf Breitensport-Ebene. Ansonsten gibt es meiner Meinung nach keine Top 3 im Sport in Sachen Nachhaltigkeit, weil es viele verschiedene Projekte in unterschiedlichen Sportarten gibt. Im Tennis, Rugby, Cricket, in der Leichtathletik, im Basketball, im Segeln, im Golf, im Motorsport, im Radsport… die Liste lässt sich fortsetzen!
Die Medienberichterstattung konzentriert sich oft auf den Profisport. Aber wie wichtig ist der Breitensport für die nachhaltige Transformation des Sports, und wird er nicht oft übersehen?
Poole: Er ist wirklich wichtig. Wir versuchen gerade, ihm mehr Beachtung zu schenken. Wenn man an die Basis geht und über den lokalen Gemeinschaftssport nachdenkt, basiert alles auf Freiwilligenarbeit und der Unterstützung von Gemeinderäten, Gemeinden und Trainern, um den Sport aufrechtzuerhalten. Wir treffen Freizeitzentren oder -einrichtungen, die aufgrund fehlender finanzieller Mittel geschlossen werden oder die mit weniger Mitteln mehr leisten müssen usw. Es ist also sehr viel schwieriger, mit dem Breitensport in Verbindung zu treten und Maßnahmen in diesem Bereich zu mobilisieren, weil er nicht so aufgebaut ist wie der Profisport.
Es gibt noch einen zweiten Punkt: Natürlich wollen wir mehr Aktionen an der Basis fördern. Aber wenn Menschen ihre Zeit ehrenamtlich zur Verfügung stellen oder gering bezahlt werden, um so viel zu organisieren, zu coachen und zu unterstützen, kann man dann von ihnen verlangen, mehr zu tun? Wir müssen sehr vorsichtig sein, wenn wir Einzelpersonen die Verantwortung aufbürden. Es sollten Regierungen, große Organisationen und Unternehmen sein, die diese Aufgabe übernehmen, denn sie haben den größten Einfluss. Die Mobilisierung von Finanzmitteln zur Unterstützung von mehr Aktivitäten an der Basis sollte verstärkt werden.
2024 ist das Jahr der Wahlen. Inwieweit kann sich ein Politikwechsel in der EU oder den USA hin zu weniger Klimapolitik langfristig auch negativ auf die nachhaltige Transformation des Sports auswirken?
Poole: Ich glaube nicht, dass der Sport wirklich auf die Politik oder Anreize der Regierung angewiesen ist. Allerdings kann die falsche politische Führung den Fortschritt massiv behindern. Wenn ein politischer Führer an der Spitze steht, der dem Klimawandel oder der biologischen Vielfalt keine Priorität einräumt, dann wird Nachhaltigkeit zu einer politischen Frage, insbesondere für die Führungsgremien internationaler Verbände. Es kann auch politischer werden, überhaupt darüber zu sprechen, wie wir in den USA mit Donald Trump als Präsident gesehen haben. Die gesamte Website der EPA (Environmental Protection Agency) wurde abgebaut, weil Umwelt kein großes Thema war. Wenn es also so weit kommt, wird es natürlich negative Auswirkungen haben.
Sie können heute drei Entscheidungen treffen, um Ihre Vision für 2050 zu verwirklichen. Welche Entscheidungen werden Sie treffen?
Poole: Bildung ist immer wichtig. Wenn ich also „Queen of the day“ wäre, würde ich sagen, dass alle Vorstandsmitglieder und alle Führungskräfte in den Bereichen Kohlenstoffkompetenz, Nachhaltigkeit, Klima und biologische Vielfalt geschult werden müssen. So wissen die Menschen in diesen Entscheidungspositionen, auch wenn sie sich nicht besonders dafür begeistern, was passiert und welche Risiken auf sie zukommen.
Die Finanzierung wäre der zweite Punkt. Um einen nachhaltigen Sport im Jahr 2050 zu gewährleisten, muss man sich Gedanken darüber machen, wie die Mittel zugewiesen werden. Wenn erst einmal das Geld zur Verfügung steht, folgen die Aktivitäten. Der dritte Punkt ist, dass jede Sportorganisation, unabhängig von ihrer Größe, eine Nachhaltigkeitsstrategie oder -politik haben muss. Dann wird diese Teil der Infrastruktur. Dann weiß, dass bestimmte Dinge geschehen müssen. Jeder muss sie bei der Entscheidungsfindung berücksichtigen. Durch diese Art von Veränderungen werden die richtigen Entscheidungen getroffen werden, um den Sport im Jahr 2050 nachhaltig zu gestalten.