Scheinbar Idylle: Overtourismus setzt Österreich zu
Die Diskussion um mögliche Ziele für den Sommerurlaub ist bereits in vollem Gange. Österreich gehörte für Golfer aus dem deutschsprachigen Raum bereits im vergangenen Jahr zu den Top-Zielen. Gleichzeitig nehmen Themen wie Overtourismus auch in Österreich einen immer größeren Raum ein. Im Plan T, der neuen Tourismusstrategie des Bundesministeriums für Nachhaltigkeit und Tourismus, ist für die Tourismusindustrie ein nachhaltigerer Ansatz vorgesehen. Wie aber sieht die Praxis aus? Golf Sustainable sprach dazu mit Prof. Dr. Robert Steiger, der sich im Forschungszentrum Tourismus und Freizeit an der Universität Innsbruck, intensiv mit Fragen des Tourismus und der Nachhaltigkeit beschäftigt.
Ist Nachhaltigkeit in der österreichischen Tourimusindustrie schon ein großes Thema?
Steiger: Das Thema wird auf jeden Fall immer relevanter, und man denkt über die richtige Herangehensweise nach. Der Widerstand der österreichischen Bevölkerung gegenüber einem weiteren touristischen Wachstum wird doch immer größer. Da wird der Ruf nach nachhaltigerem Tourismus laut.
Wird dieser denn überhaupt vom Gast nachgefragt?
Steiger: Beim Gast wird das Thema immer prominenter. Allerdings stellt man fest, dass der Gast das nachhaltige Angebot wahrnimmt und auch wichtig findet, es bei der Konsumentscheidung aber ein Riesenspagat zwischen dem Anspruch und dem tatsächlichen Verhalten gibt. Gerade das Thema Reisen wird hier auch gerne als Ausnahme betrachtet, nach dem Motto. „Das darf ich mir jetzt mal leisten und da muss ich mir jetzt mal keine Gedanken um solche schwierigen Dinge machen.“
Golfer fahren in der Regel mit dem Auto in den Urlaub. Das Thema der Verkehrsüberlastung wird in vielen Regionen immer wichtiger. Arbeitet man in Österreich an Alternativen?
Steiger: Tourismus und Verkehr wird seit etwa fünf Jahren als Thema sehr stark gespielt, sowohl von der Landespolitik als auch von den Touristikern selbst. Durch die sinkende Aufenthaltsdauer braucht man immer mehr Gäste, um die Zahlen halten zu können, und dadurch gibt es automatisch mehr Verkehr. Dem versucht man entgegen zu wirken, zum Beispiel durch mehr Verbindungen der Österreichischen Bundesbahn. Es gibt mehr Kooperationen mit ausländischen Anbietern und man macht sich mehr Gedanken über die sogenannte „letzte Meile“. Wie kommt der Gast vom Bahnhof oder Flughafen zum Hotel, steht da schon das Shuttle bereit? Außerdem wird der öffentliche Nahverkehr stark ausgebaut. Es bleibt die Frage: Wie bringt man den Gast vom Auto auf die Schiene? Im Moment liegen wir bei etwa zehn Prozent der Gäste, die mit der Bahn anreisen. Man hat hier schon erkannt, dass beim Thema Klimawandel in Österreich das Thema Verkehr im Tourismus der entscheidende Faktor ist.
Die Schiffsanlegestelle Melk mit dem Kloster Melk ist eine jener Orte, die auch von Golftouristen gerne bei einem Ausflug nach Wien angesteuert werden
Wie stark ist die Hotellerie im Hinblick auf nachhaltigeres Management, zum Beispiel beim Thema Ressourcen, aufgestellt?
Steiger: Untersuchungen zeigen, dass gerade im Bezug auf das Thema Energieeinsparung noch ein großes Potential vorhanden ist. Das betrifft vor allem Bereiche wie Gebäudedämmung oder Heizanlagen. Da sind die Strukturen im Moment eben oft noch überaltert. Dafür gibt es staatliche Förderungsprogramme, die nicht greifen, wenn man die Anzahl der Betten erhöht, sondern wenn man die Qualität steigert und eine energetische Sanierung durchführt.
Wird sich die Bedeutung des Themas aus Ihrer Sicht verstärken?
Steiger: Ich erwarte, dass das Thema wichtiger wird, nachdem es während der Corona-Krise einen kleinen Dornröschen-Schlaf erlebt. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass es in den nächsten Jahren keine CO2-Bepreisung geben wird, wenn man die Klimaziele erreichen will. Deshalb wird das Thema auch prominenter werden. Außerdem ist die Diskussion um den Overtourismus meiner Ansicht nach nicht beendet, weil man ja bedenken muss, was nach der Pandemie kommt.
Gehen Sie von einem Run auf Österreich im Sommer aus?
Steiger: Zum einen besteht durchaus die Möglichkeit, dass wir in den Alpen an einigen Orten mehr Tourismus im Sommer haben werden, weil die Leute noch nicht überall hinkönnen. Zum anderen ist bei einem Teil der Gäste die Sensibilität, was das Thema Überfüllung betrifft, sicherlich deutlich höher. Deshalb werden wir uns mit dem Thema Overtourismus sicherlich stärker auseinandersetzen.
Einerseits schwindet die Akzeptanz in der Bevölkerung für Tourismus angesichts von steigendem Verkehr, Müll und Luftverschmutzung, andererseits lebt man im Tourismus ja vor allem auch von der Masse. Gibt es für diese Diskrepanz eine Lösung?
Steiger: Wir werden im Tourismus einen nachhaltigeren Massentourismus anstreben müssen. Die Denkrichtung lautet: Ist es möglich, das Volumen, also die Anzahl der Übernachtungen bei Aufrechterhaltung der Wertschöpfung zu reduzieren. Und wie kann so ein System in einer Tourismusdestination funktionieren, die hauptsächlich auf einheimische Arbeitsplätze setzt. Im Moment sehen wir hier das Problem des schwindenden Rückhalts in der eigenen Bevölkerung, weil Arbeitskräfte importiert werden und ein Großteil der Bevölkerung in anderen Branchen arbeitet. Die Bevölkerung hat damit nicht den Profit aus dem Tourismus, muss aber die negativen Folgen tragen. Das bedeutet: Ich muss die Bevölkerung stärker einbinden, damit aber auch höhere Löhne zahlen, um sie in der Branche zu halten. Wir haben Hotels, die 80 bis 90 Prozent Einheimische beschäftigen, das sind aber eben die Anlagen im hochpreisigen Segment und Ausnahmeerscheinungen.
Wie sehen Lösungsansätze für die Ressource „einheimische Arbeitskraft“ aus?
Mitarbeiter sind ein großes Problem. Auch die Frage, wie man sie halten kann. Deshalb ist es so wichtig, auch im Sommertourismus ein gutes Standbein zu bekommen, damit man ganzjährig einen Arbeitsplatz anbieten kann. In der breiten Masse wird die Diskussion über die steigenden Löhne aber eher von dem Gefühl beherrscht, dass man dann nicht mehr konkurrenzfähig wäre. Jeder weiß, dass bei steigenden Preisen die Auslastung schwer gesteigert werden kann. Wir haben hier eine zu hohe Kapazität – auch mit Betrieben, die eigentlich nicht mehr überlebensfähig sind.
Steht die Diskussion um die Wertschöpfungskette und einen nachhaltigeren Tourismus damit in Österreich erst am Anfang?
Ja, ich denke schon. Man versucht jetzt allerdings auch in der Kommunikation weg von den jährlichen Rekorden zu gehen und diese als Erfolgsindikator zu nehmen, sondern man sieht sich die Wertschöpfung genauer an. Da hat auf jeden Fall ein Umdenken eingesetzt.
Wie entscheidend ist die Diversifizierung des Angebots?
Wir wissen schon seit einigen Jahren, dass man nicht mehr nur mit einem Produkt fahren kann, sondern eine ganz breite Palette anbieten muss, weil der Gast ja nicht nur sieben Tage wandern will, sondern einfach auch neue Dinge ausprobieren will. Der leiht dann eben auch das Rad aus oder probiert es mal mit dem Golfspielen.
Was erwarten Sie für den Tourismus in Österreich in diesem Sommer?
Das hängt alles von der Pandemie-Entwicklung und den Grenzöffnungen ab. Ich gehe aber von einer starken Nachfrage gerade im ländlichen Raum aus. Ich hoffe nicht, dass wir Probleme mit den Abstandsregeln und dem subjektiven Gefühl des Gastes wegen Überfüllung bekommen, wenn der Druck zu groß wird. Da müssen wir stark aufpassen.