Pestizide in der EU: Ein Weiterso wird es nicht geben
„Ich frage mich, ob dies wirklich ein Sieg ist?“ – die letzten Worte der EU-Kommissarin für Gesundheit Stella Kyriakides, gerichtet an die Abgeordneten des EU-Parlaments, die sich am 22. November gegen ein Gesetz zur Reduktion des Einsatzes von Pestiziden in der EU ausgesprochen hatten, hingen am Ende des Tages im Raum. Die Ablehnung des Vorschlags der EU-Kommission, die Nutzung von Pflanzenschutzmitteln in der Landwirtschaft bis 2030 um die Hälfte zu senken und auf sogenannten sensiblen Flächen, zu denen auch Golf- und Fußballplätze gehören, ganz zu verbieten, wurde von Teilen der Parteien sowie Vertretern der Agrarlobby begrüßt. Auch die UEFA für den Fußball, sowie die EGA mit dem R&A, der FEGGA sowie anderen Teilen der Golfindustrie hatten sich im Vorfeld zwar für eine Reduktion des Einsatzes aber gegen das Komplettverbot ausgesprochen.
Weiterso oder pro-aktive Maßnahmen?
Knapp einen Monat danach stellt sich die Frage, wie die Golfindustrie mit diesem Ergebnis zur sogenannten SUR (Sustainable Use Regulation) in Zukunft umgeht. Die Verordnung ist zwar aufgrund der anstehenden Europawahlen im Juni vorerst vom Tisch, allerdings wurde im Rahmen der Parlamentsdebatte auch klar, dass das Thema Pflanzenschutzmittel ein Dauerbrenner ist, weil die Auswirkungen des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln, auch als Pestizide bekannt, auf die Gesundheit von Mensch und Tier und auf das Artensterben weiterhin diskutiert und untersucht werden. Dabei wurde bereits im Zuge der letzten Diskussionen im Parlament klar, dass die Bestimmungen über die Sportflächen für die Abgeordneten ein unbedeutender Nebenaspekt sind, dessen Bedeutung neben der Diskussion um die Agrarlandwirtschaft völlig verblasst. Laut Niels Dokkuma, Agronom und Nachhaltigkeitsbeauftragter bei der European Golf Association (EGA), besteht damit „das Folgerisiko, dass man als Kollateralschaden in einer Debatte, die vorwiegend über die Agrarwirtschaft geführt wird, endet, wenn wir das Thema nicht proaktiv angehen“.
Fünfjährige Transformation starten
Proaktiv bedeutet für die European Golf Association in diesem Zusammenhang die Arbeit an einem Übergang zu einem pestizidfreien Betrieb der Golfanlagen. Beim Begriff „Übergangsphase verstehen wir alle, dass die Zeit ein wichtiger Schlüssel ist. Wir sollten uns lieber eine Phase von fünf Jahren erlauben als einen schlagartigen Wechsel von zwei bis drei Jahren,“ stellt Dokkuma fest. Auf den einzelnen Golfplatz bezogen bedeutet dies: Jede einzelne europäische Golfanlage sollte sofort damit beginnen, beim Greenkeeping den Prozess der Reduktion von Pflanzenschutzmitteln mit dem Ziel eines kompletten Verzichts einzuleiten, falls sie das noch nicht getan hat.
Eine Einschätzung, die auch von zahlreichen Fachleuten der entsprechenden Fach- und Nationalverbände geteilt wird. „Unabhängig von den weiteren Entwicklungen gilt es weiterhin intensiv an Standort-spezifischen Pflegekonzepten zu arbeiten, die einen weitgehenden Verzicht auf den chemischen Pflanzenschutz ermöglichen“, resümiert der Deutsche Golf Verband als größter Golfverband innerhalb der EU. „Daher gibt die politische Uneinigkeit in Brüssel den Golfanlagen eine unverhoffte Atempause, die sie zur Anpassung ihres Pflegemanagements nutzen sollten“, so Beate Licht, Leiterin des DGV-Arbeitskreis Integrierter Pflanzenschutz. In Frankreich, dem viertgrößten Verband, ist ab 1. Januar 2025 entsprechend dem sogenannten Gesetz von Labbé auf allen Sportflächen ohnehin die Verwendung von synthetischen Pflanzenschutzmitteln untersagt. „Der Golfsport arbeitet weiterhin auf diese Deadline hin“ resümiert Maximilien Lambert, zuständig für den Bereich der ökologischen Transformation bei der Fédération Francaise de Golf.
Veränderung auch in touristischen Zentren
Die Empfehlungen und Vorgaben der Verbände sind die eine Seite, die praktische Arbeit auf den Plätzen ist die andere. Wie groß ist der Druck vom normalen Golfer aber auch von Hotellerie, Tourismusverbänden und Gästen auf die Betreiber, grundsätzlich immer eine Anlage in Top-Zustand zu liefern, egal ob dabei Pflanzenschutzmittel eingesetzt werden oder nicht? Andreas Leutgeb, Präsident der Austrian Greenkeeper Association, sieht hier in vielen Bereichen Verbesserungen. Auch in Regionen wie Tirol oder Kärnten, die touristisch im Sommer großen Zulauf von Golfern erlebten, gleichzeitig aber auch mit langen Wintern kämpfen, habe das Verständnis für die Herausforderungen des Greenkeepings zugenommen. „Das ist insgesamt sehr zufriedenstellend, dass die Leute nicht mehr sofort mit großem Unmut reagieren, wenn es kleinere Probleme gibt“, lautet sein Fazit.
Das Greenkeeping in Österreich orientiere sich ohnehin zunehmend um: „Der Weg geht schon in Richtung Verzicht. Nicht nur wegen Gesundheits- und Umweltfragen bei den Pflanzenschutzmitteln, sondern auch, weil das einfach eine kostspielige Sache ist. Viele Kollegen im Greenkeeping versuchen, mit weniger Pflanzenschutzmitteln, aber auch Dünger auszukommen.“
Datenmangel das größte Problem
So erfreulich diese Bemühungen sind, für die Diskussion mit dem EU-Parlament, wo die Golfbranche darauf dringt, weiterhin auf einige wenige Pflanzenschutzmittel zurückgreifen zu können, um bei akutem Krankheits- oder Schädlingsbefall reagieren zu können, ist die europaweite Golfbranche aufgrund ihres Datenmangels schlecht gerüstet. „Wir sind ein leichtes Ziel“, stellt Martin Nilsson, Board Member der Federation of European Golf Greenkeepers Association (FEGGA) ernüchtert fest. Die Golfszene könne zwar immer wieder auf ihre Anstrengungen verweisen, die Pflanzenschutzmittel zu reduzieren, im Moment könne sie dies aber nicht mit Zahlen hinterlegen.
Tatsächlich ergibt eine Umfrage bei diversen Nationalverbänden folgendes Bild: Von den größten Golfverbänden in Europa, haben nur wenige einen aktuellen Datenstand zur Verfügung. Dänemark ist das einzige Land, das bereits seit 2013 eine Meldepflicht der Clubdaten an den Verband vorweisen kann. Die Software dazu wurde von der Danish Environmental Protection Agency (EPA) entwickelt. Verband und EPA haben Zugriff auf die Daten. Der Greenkeeper des Clubs sammelt die Zahlen, das Reporting läuft meist über den Clubmanager, die rechtliche Verantwortung für die Richtigkeit der Daten liegt aber beim Geschäftsführer oder Besitzer der Anlage. Auf diese Weise wird auch verhindert, dass die Geschäftsführung Druck auf das Greenkeeping ausüben kann, illegal Pflanzenschutzmittel einzusetzen. Golfanlagen, die sich nicht an das System halten, können mit Geldstrafen, aber auch mit dem Entzug der Erlaubnis zur Verwendung von Pflanzenschutzmittel oder der kompletten Betriebserlaubnis bestraft werden. Martin Nilsson, selbst Head-Greenkeeper des Royal Kopenhagen Golf Club, stellt fest, dass dieses System zu Vertrauen der Behörden und der Öffentlichkeit gegenüber dem Golfsport geführt habe. „Verlässliche Daten schaffen Vertrauen“, lautet sein Fazit.
Verpflichtende Meldung in Frankreich
Einer Devise, der sich auch der französische Golfverband verpflichtet fühlt. Hier ist der Greenkeeper der Anlage ebenfalls gesetzlich verpflichtet, mindestens einmal im Monat seine Verbrauchsdaten für Wasser und auch für Pflanzenschutzmittel einzugeben. Der Verband hat zu diesem Zweck die App Platform.Golf entwickelt. Der Verband garantiert, dass die Daten vertraulich sind, hat aber einen Überblick über nationale und regionale Daten.
Wie bei allen Umweltfragen diskutiert auch die Golfszene über die Frage, ob die freiwillige Abgabe von Daten zur Glaubwürdigkeit des Reportings beiträgt. Der Königlich-Niederländische Golfverband zum Beispiel war von 2015 bis 2020 verpflichtet, dem Umweltministerium einen anonymen Datensatz zum Einsatz von Pflanzenschutzmitteln zu liefern. Das Reporting der Golfanlagen war freiwillig, zwischen 63 und 81 Prozent nahmen jährlich teil. Laut Niels Dokkuma, neben seiner EGA-Tätigkeit auch Manager für Sustainable Management beim Königlich-Niederländischen Golfverband, führte dies innerhalb von fünf Jahren zu einer Reduktion von 80 Prozent der Pflanzenschutzmittel.
England Golf rät ebenfalls zu Umstellung
Während innerhalb der EGA die aktuellen Entwicklungen diskutiert werden, beobachtet England Golf, das als Nicht-EU-Mitglied nicht direkt in EU-Fragen involviert ist, das Thema mit großem Interesse. „Wenn das EU-Verbot Realität wird, wird uns das auf jeden Fall aufgrund der Dynamik des Marktes betreffen“, stellt Owen James, Sustainability Manager des größten Verbandes in Europa fest. „Der UK-Markt wird so klein sein, dass die Preise enorm steigen werden und gleichzeitig die Versorgung schwindet. Wir raten unseren Clubs und ermutigen sie, sich jetzt vom Einsatz der Pflanzenschutzmittel wegzubewegen, sodass sie, wenn sich das Thema weiter konkretisiert, bereits vorbereitet sind und gesündere Boden- und Umweltbedingungen liefern können.“
Einig sind sich alle Befragten, dass in den nächsten Jahren eher mit einer Verschärfung der Bestimmungen zum Einsatz von Pflanzenschutzmitteln als mit der Beibehaltung des Status Quo zu rechnen sei. Auch die Hoffnung so mancher Protagonisten aus dem Sport, Fußball- und Golfplätze könnten aus der Klassifizierung als sensible Bereiche genommen und wie die Landwirtschaft beurteilt werden, hält Dokkuma, der für die EGA bereits zahlreiche Gespräche mit EU-Vertretern geführt hat, „für sehr unwahrscheinlich, wenn wir die Positionen der politischen Stakeholder während des vergangenen Jahres betrachten.“
Wie unterschiedlich der Umgang mit Pflanzenschutzmitteln und den gesundheitlichen Risiken damit ist, machte zuletzt auch ein aufsehenerregender Fall aus Canada klar, wo die staatliche Behörde Pest Management Regulatory Agency (PMRA) offensichtlich im Mai 2023 darauf verzichtete, Betreiber von Sportflächen auf die enormen gesundheitlichen Risiken des Herbizids DCPA, das in der EU nicht zugelassen ist, hinzuweisen. Damit setzte sich die PMRA dem Vorwurf aus, auf Kosten der Sportler, die Hersteller von Pflanzenschutzmitteln zu schützen.
Ein Weiterso wird es nicht geben
Die EU-Kommissarin Stella Kyriakides und auch Sarah Wiener als Berichterstatterin des Umweltausschusses ließen in ihren Schlussanmerkungen nach der Debatte am 22. November keinen Zweifel daran, dass die Thematik in der EU dagen den nächsten Monaten verschärft behandelt wird. „Wir wissen ja alle, dass es so nicht weitergehen wird mit den Pestiziden“, stellte Wiener fest. SUR wurde am 22. November 2023 aufgehalten. Ein Weiterso aber, auch das wurde bei EU-Debatte und Abschlusserklärung klar, wird es nicht geben.